Mely Kiyak: Vorhang auf, Vorhang auf! (2024)

Schreiben ist schreiben, sonst nichts. Weder macht's Spaß, noch macht's unglücklich. So ist das Kolumnistinnenleben. Aber: Vorsicht vor rosa Brillenetuis! Ein Buchauszug

Von Mely Kiyak

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Mely Kiyak: Vorhang auf, Vorhang auf! (1)

Dies ist ein gekürzterAuszug aus dem Buch "Werden Sie uns mit FlixBus deportieren?" von Mely Kiyak. (Erschienen im CarlHanser Verlag, München 2022)

Sehr geehrtes Publikum,piekfeine Herrschaften, Junkies, Penner, Quartalstrockene,Bordsteinexzellenzen, Abitur-Sörens und Hauptschul-Ingos,Mittleres-Management-Manager, Matrosen, Muftis, Minister, auf dem zweitenBildungsweg Gescheiterte, aus Versehen zur Welt Gekommene,Wunsch-Lea-Lara-Laura-Larissas und andere In-vitro-Lieblinge, ZDF-Fernsehgarten-Graduierte, von der gesetzlichenKlassenlotterie Abgezockte, Hartz IV-Abonnenten,Kranke, Kiffer, Kränkelnde, Tankwarte, Bademeister, Stand-upper, Start-upper,ermäßigt Umsatzsteuerpflichtige, Wikipedia-Adel, Schreibtischpöbler,Kommentarspaltenplebs, Armleuchter, unaufhörlich um "Quelle, Quelle, Quelle"bettelnde Twitterreferenten, Zurechtrücker, Geradebieger,Facebook-Forschungsstipendium-Fellows, Telegram-Speaker und "Danke für IhrenHinweis, wir haben den Fehler korrigiert!"-Korrigierende und -Korrigierte,Korrupte, Kaputte, Gekränkte, Osteopathieeingerenkte, vor aller Augen in denWeltmeeren Ertrinkende, Abgeschobene, Vergessene, Verdammte, von der MenschheitVerlassene, Ossis auch, na klar – hallööö, Grieese!, sich mühsam durchs LebenSchleppende, vom Schicksal Leinengebeutelte, von Schicksalswahl zuSchicksalswahl Taumelnde, in alle Extreme Stürzende, Dinkeldeutsche inVollkornsandalen, auf Zoom, auf dem Land, auf der Kirmes, an allen Gleisen undGates unserer schönen Heimat von Herne bis Tchibo, von Mönchengladbach bisManufactum, vom Norden bis Abendbrot um sieben, von Mallorca hat auch schöneEcken bis Prostatakrebs muss nicht zwingend operiert werden:

Herzlichwillkommen, selam, hûn bi xêr hatin, Bützchen rechts, öptüm links, brankos,brankas, ich küsse Ihre Augen, ich hatte solche Sehnsucht nach Ihnen, wollenwir uns nicht duzen?

Quatsch, war nur ein Witz.Nicht duzen, auf keinen Fall duzen. Ich heiße – und ich hoffe, ich buchstabieredas jetzt richtig – Kiyak.

Nicht Kilak, Kelek, Kikak,auch nicht Kijak, Küjak, Kajak, sondern KIYAK. Dasist serboindolekisch und heißt übersetzt: jemandem einen Gefallen tun. Womitwir bei meiner Tätigkeit, meinem Beruf, meinem Hobby, meiner Leidenschaft,meinem Leben oder sagen wir einfach meinem Nebenjob sind, nämlich Kolumnistin.Ein berühmter Neuköllner Sozialarbeiter, der genau wie ich Deutsch alsBerufssprache benützt, fragte mich einmal, ob man als "Kommunistin" gut lebenkönne und was man als "berühmte Zeitungskommunistin" verdiene, und ich habe dasnie zurechtgerückt, denn je genauer ich nachdenke, desto weniger erschließtsich mir der Unterschied zwischen einer Kolumnistin und einer Kommunistin.

Denn ja, in gewisser Weisebin ich genau die Art von Salonkolumnistin, auf die man von der oberenMittelschicht aus so gerne herabblickt. All die Kanzlei, Praxis, Bauernhof,Immobilien oder Geldsummen vom Vater übernommen habenden Erben, die es in ihremLeben zu wenig mehr brachten als bestenfalls zu einem Mandat im Landtag undwenigstens einer Scheidung mit geregelter Alimentezahlung, kriegenNervenzusammenbrüche, wenn sie sehen, dass man einzig aufgrund vonAlphabetisierung und dem Wunder der Syntax im gleichen Lokal speist wie sie.Von solchen Leuten wird einem das mondäne und prächtige Leben, das manwahlweise "da oben", unter "ihresgleichen" oder "in der eigenen Filterblase"vermeintlich führt, am meisten vorgeworfen. Einmal saß ich mit Wolfgang Bosbachin einer Diskussionsrunde vor den Gewerkschaftern der IGBergbau und Chemie und stritt mich mit ihm. Als wir erfolglos alleSachargumente miteinander ausgetauscht hatten, wechselte ich von dersubjektiv-emotionalen Ebene zur objektiven und sagte ihm geradewegs ins Gesicht:"Sie haben von nichts eine Ahnung." Und er antwortete, dass ichkeine Ahnung habe, weil Leute wie ich den ganzen Tag Prosecco trinken würdenund von der Dachterrasse mit Blick auf den Gendarmenmarkt aufs Volkrunterschauten.

Ich begegnete Bosbach nochein zweites Mal, allerdings nicht persönlich, sondern indirekt auf meinemGesicht. Als ich in der Maske der Günter-Jauch-Show saß, bot mir dieMaskenbildnerin an, mein Gesicht mit dem Airbrushverfahren zu verschönern. Dasist eine Art winziger Gartenschlauch, aus dem das Make-up feinnebeligherausgesprüht und damit das Gesicht benieselt wird. Ein wenig sieht es so aus,als sei man ein Rübenacker, der gerade mit Pestiziden gespritzt wird. Das sei,wie man mir sagte, absoluter Maskenstandard in Talkshows, also ließ ich michbesprühen. Ich geriet jedoch recht gelbstichig, was dieVerschönerungsspezialistin nach einigem Hin und Her und viel Protestmeinerseits dann doch einsah, und sie gestand mir, dass in der Düse nochRestfarbe von Bosbach drinsteckte. Der war wohl die Woche zuvor in dieser odereiner anderen Show gewesen. Ich sollte an dem Abend mit dem damaligenInnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSUdiskutieren. Wie ich da so unglücklich mit meinem goldgelb gebackenenSchnitzelgesicht saß, bot sie mir an, mich mit Friedrichs Düse zu übersprühen,dessen Teint eher ins kräftige Braun tendiert. Daraufhin sah ich zwar wie derco*ckerspaniel aus der Saftgulaschwerbung aus, aber es stand mir doch etwasbesser als Bosbachs Teint. Will sagen, dass ich schon geyellowfaced undgebrownfaced wurde, als es noch kein Twitter gab, wo ich um Unterstützung undAnteilnahme hätte bitten können. Und ja, Sie lesen richtig, für meinesgleichenwurde die Farbe nie extra angerührt, unsereins muss nehmen, was an Restpigmentenin der Düse steckt.

Macht mir mein BerufSpaß?, werden Sie mich fragen.

Ich kenne einen Arbeiter,der 30 Jahre lang ohne Atemschutzmaske Kupferdrähte für die Flugzeug- undRaumfahrtindustrie lackierte. Dreißig Jahre lang steuerte, hob und schleppte ergigantisch große Spulen, auf denen sich Hunderte Kilo Kupferdraht gleichmäßigdrehten und majestätisch in Farbwannen senkten. Der Draht war entweder dünnerals ein Haar auf dem Kopf oder dick wie ein Fahrradschlauch. Beim Beobachtendes Drahtes hatte er, nennen wir ihn Herrn K., viel Spaß, so erinnerte er eszumindest. In der ersten Hälfte dieser 30 Jahre, als die Fabrik noch einenDirektor hatte, drehten sich die Spulen langsamer. In der zweiten Hälfte, alsder Fabrikdirektor durch Konzernmanager ausgetauscht worden war, drehten sichdie Spulen doppelt so schnell. Wie sich die Spulen schneller drehten, hatteHerr K. natürlich doppelt so viel Spaß. Also versuche ich beim Schreiben auchSpaß zu haben. Weil ich dann denke, wenn einer zwölf Stunden lang Freude dabeiempfindet, einer rotierenden Spule im Umfang einer Litfaßsäule zuzuschauen,werde ich es wohl auch hinkriegen, beim Schreiben Spaß zu empfinden. Doch esmacht keinen Spaß, egal wie ich es drehe und wende.

Schreiben ist schreibenund sonst nichts. Weder macht es Spaß, noch macht es unglücklich. Fragen Sieeinen Sushikoch, der in seiner Meisterklasse Sashimi vom Fischfleischherunterschneidet. Der hat gar keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, obdas Schneiden von hauchdünnen Barschfilets Spaß macht. Der hat ganz andereProbleme. Liegt das Messer richtig in der Hand, ist der Barsch bereit für denAkt?

Ich arbeite noch strengnach der alten Methode. Nach dem Aufwachen lese ich Zeitungen. Manchmal fünf,sechs oder sieben. Das erschöpft mich total. Da sind diese ganzen Worte undThemen, die sind in meinem Kopf. Dann folgt der Versuch, das zu verarbeiten. Darinbesteht ja meine Tätigkeit. Zu lesen und zu kapieren. Dann übersetzen. Wie einFährmann trage ich die Worte von einem Ufer ans nächste. Steche mit dem Paddeleinmal links ins Wasser, dann rechts ins Wasser, und manchmal sehe ich schondie andere Seite des Flussufers und weiß doch, dass ich an diesem Tag nichtankommen werde, und drehe auf der Hälfte wieder um. Morgen geschieht dasgleiche noch einmal. Und übermorgen auch. Die meisten Tage enden damit, dasZiel wieder nicht erreicht zu haben. Schreiben, verwerfen, verzweifeln.

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